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Umkleiden kann Arbeitszeit sein

Das Bundesarbeitsgericht hat in 2012 seine bis dahin bestehende Rechtsprechung in Bezug auf die Bewertung von Umkleidezeiten als Arbeitszeit aufgegeben. Seither vertritt der Senat die Meinung, dass auch die Zeiten zum Anlegen der dienstlich vorgeschriebenen Kleidung im Betrieb als Arbeitszeit zu werten sei. Diese grund-sätzliche Haltung präzisiert das BAG in Bezug auf die Regelungsmöglichkeiten von Umkleidezeit ständig wei-ter. Zuletzt in seinem Urteil vom 06.09.2017, Az.: 5 AZR 382/16.

Die Besonderheit dieser höchstrichterlichen Haltung liegt darin begründet, dass der Vergütungsanspruch aus dem Arbeitsvertrag grundsätzlich als Gegenleistung zur Ableistung der vertraglichen geschuldeten Arbeitslei-tung erwächst. Bei sehr enger Auslegung von § 611 Abs. 1 BGB könnte man zu dem Schluss kommen, dass nur die eigentliche Arbeitsleistung den Entgeltanspruch auslösen kann. Das bloße Anlegen der Dienstkleidung kann damit eigentlich nicht entgeltpflichtig sein, da es sich hierbei nicht um die konkrete arbeitsvertraglich ge-schuldete Arbeitsleistung handelt. Von diesem Grundsatz ist das BAG indes in den Fällen abgewichen, in de-nen der Arbeitgeber das Tragen einer besonderen und auffälligen Arbeitskleidung verlangt, die außerbetrieb-lich nicht zu tragen ist und die der Arbeitnehmer daher erst im Betrieb anlegt.

Geklagt hatte ein Krankenpfleger, der vortrug, jeden Tag etwa 12 Minuten für das Wechseln der Kleidung und für den Weg vom Umkleideraum an den Arbeitsplatz benötigt. Die Arbeitgeberin regelte in einer Dienstverein-barung, dass jeder Beschäftigte verpflichtet sei, während des Dienstes die entsprechende Dienstkleidung zu tragen. Hierfür stellte der Arbeitgeber Umkleideräume und Schränke zur Verfügung.

Nachdem die Vorinstanzen den Klageanspruch abgewiesen hatten, entschied das BAG, dass der Anspruch durchaus bestünde. Zur Begründung führte das BAG aus, dass die berufstypische Kleidung den Arbeitnehmer den Heilberufen zuordnen würde. Von einer besonderen Auffälligkeit der Kleidung müsse bereits dann ausge-gangen werden, wenn diese Rückschlüsse auf einen bestimmten Berufszweig zulasse. Der Arbeitnehmer selbst habe indes selbst kein eigenes Interesse daran, dass die Offenlegung seiner beruflichen Tätigkeit ge-genüber Dritten erfolgt. Daher könne von ihm auch nicht erwartet werden, dass er seine Dienstkleidung bereits zu Hause anziehe. Entscheidet sich ein Arbeitnehmer dazu, seine Dienstkleidung im Betrieb an- und auszu-ziehen, handle es sich laut BAG um vergütungspflichtig Arbeitszeit.

Konkret bedeutet dies, dass Arbeitnehmer mit besonders auffälliger, dem eigenen Unternehmen oder dem Tätigkeitsfeld zuzuordnende Dienstkleidung das An- und Ablegen dieser Kleidung im Betrieb als Arbeitszeit verbuchen können. Der mit dem Motorrad oder dem Fahrrad anreisende Arbeitnehmer, der im Betrieb seine Kleidung wechselt, etwa weil sie nicht unter den Motorradanzug passt oder die Kleidung für den Arbeitsweg verschwitzt ist, kann diese Zeit nicht als Arbeitszeit geltend machen.

Martin Becker
Rechtsanwalt und Mediator, Winfried Becker & Partner, Lemgo